Einmal Nirwana und zurück

Gestern Abend bekam ich von einer ganz lieben Freundin eine wundervoll entspannende Lomi-Lomi-Massage geschenkt. Es war ein sehr anstrengender Tag gewesen. Der Kopf hämmerte von Tausend Telefonaten und Bruchstückhaften Sätzen und Wortfetzen, die wie geschäftige Ameisen im Ameisen-haufen noch durch meinen Kopf fegten, als ich mich bei ihr auf der Massageliege niederließ.

Erst im Liegen merkte ich, wie sehr der Rücken vom langen Sitzen am Computer schmerzte, wie verspannt mein gesamter Nacken war, der viele Stunden lang den Kopf aufrecht gehalten hatte, damit der Körper hier in dieser Welt funktionierte.

Es war sehr warm in dem kleinen Massageraum, was eine wohlig angenehme Atmosphäre schuf. Ein seichter Duft von Sandelholz hing in der Luft, als wolle er mich in eine andere Welt hinein tragen. Das Licht war abgedunkelt, und im Hintergrund lief eine ruhige Entspannungsmusik, die mich mit ihren sanften Klängen wie in einen schützenden Kokon einhüllte. Ein paar tiefe, lang gezogene Atemzüge ließen mich die Hektik des vergangenen Tages vergessen und tiefer in die Entspannung gleiten.

Ich merkte, wie ich noch an einigen Gedanken hing, die mich in die Welt der Wahrnehmung und Identifikation zurückziehen wollten. Dieser unangenehme Lärm in meinem Kopf fühlte sich an wie Gewalttätigkeit gegen mich und stand im krassen Gegensatz zu der sanften Massage, die der Rücken gerade erfuhr. Ein anderer, eindringlicher Gedanke tauchte auf: „Du bist nicht deine Gedanken. Du bist frei.“ Aha. Der Körper nahm wie von selbst einen erneuten, tiefen Atemzug. Nur beobachten. Sonst nichts.

In meinem Geist tauchte für Bruchteile von Sekunden das Werbeplakat von Hermann Lehner auf, dass bei mir im Büro hing, und damit sein Slogan: „Hör auf zu denken. Sei einfach.“ Ein Lächeln musste wohl über mein Gesicht gehuscht sein, hätte ich es sehen können. „Ich bin“ war der nächste Gedanke. Ich bin. Ich spürte wie der Körper, der dort auf der Massageliege lag, sich noch weiter entspannte, sich noch weiter von der Welt, in der „ich“ mich gerade befand, entfernte. „Ich“ war nur noch Wahrnehmung. „Ich“ war Dasein, Alles, Empfindung, Liebe, Unendlichkeit.

„Ich“ war ohne jegliche Trennung, ohne Grenze, ohne Einschränkung und ohne Begrenzung. „Ich“ war das Wellenreiten auf den Farben, in denen „ich“ mich gerade aufhielt. Ich war die Farbe. Ich war rot, grün, blau, gold. Ich war alles. Ich nahm wahr, wie flüchtige Gedanken an mein Lieblingszitat von Sri Nisargadatta Maharaj in den Farbformen auftauchten und ebenso schnell wie sie gekommen waren wieder im Nirgendwo verschwanden.

Für das Selbst ist die Welt lediglich eine farbenprächtige Vorstellung,
die es genießt, solange es abläuft,
und die es vergisst, wenn sie vorüber ist.
Was immer auf der Bühne geschieht,
lässt es in Schrecken erschaudern oder in Gelächter ausbrechen,
und doch ist es sich der Tatsache bewusst,
dass es lediglich eine Vorstellung ist.
Sri Nisargadatta Maharaj, aus „Ich bin“

Dann realisierte ich, das ich nicht die Farben sein kann. Auch Sie waren nur eine Vorstellung, eine Wahrnehmung. Das war nicht ich. Irgendein „erwachter Meister“ – ich weiß nicht mehr, wer – hatte es so treffend formuliert: „Das, was Sie wahrnehmen können, können Sie nicht sein.“ Und dann war „ich“ nur noch. Für diesen Zustand ist jedes Wort zu viel, jeder Gedanke an eine mögliche Beschreibung sinn- und zwecklos. Mein Lieblingswort dafür ist: SEIN. Einfach sein. Nicht mehr und nicht weniger, denn es ist Alles und es ist Nichts. Es ist allumfassend, alles einschließend, alles enthaltend. Es ist.

In der Welt der Wahrnehmung tauchte eine flüsternde Stimme auf: „Du kannst ganz langsam wieder zurückkehren. Lass dir Zeit.“ Dielenbretter knarrten, irgendetwas klapperte kaum wahrnehmbar, eine leise quietschende Tür wurde vorsichtig geöffnet und wieder geschlossen. Der Körper war mit einer samtig-weichen Kuscheldecke zugedeckt. Es roch nach frischen Früchten. Draußen fuhr brummend ein Auto vorbei. „Ich“ war wieder da.

Ich streckte mich, gähnte herzhaft und setzte mich langsam auf. Ein wenig wackelig auf den Beinen und noch immer ein wenig benommen, ging ich zu meinen Klamotten und zog mich im Schneckentempo wieder an. „Kann es nicht immer so sein?“, hörte ich meinen Gedanken zu. „Der Lehner soll mal endlich sein Buch mit den Quintessenzen aus dem Satsang fertig machen, damit mein Kopf sich das auch merken kann.“ Hinter mir wurde die Tür geöffnet, meine Freundin kam wieder herein.

„Schon wieder aus dem Nirwana zurück?“, fragte sie lächelnd.

„Ja, leider“, schmunzelte ich. „Du warst unglaublich weit weg“, meinte sie und fuhr fort: „Das ging alles wie von selbst. Das war alles irgendwie eins. Du warst nicht getrennt von mir. Da waren keine Gedanken daran, was ich jetzt machen muss oder tun sollte. Das war alles völlig klar, ganz easy. Wie geführt.“ Und wir blickten uns nur stumm in die Augen und lächelten. Wir hatten uns verstanden. Das die ganze Massage mehr als zwei Stunden gedauert hatte, wollte ich ihr zunächst nicht glauben, wurde aber anhand der Uhrzeit auf dem kleinen Wecker neben der Massageliege eines Besseren belehrt. Im Sein gibt es keine Zeit.

Glücklich und müde fuhr ich nach Hause und nahm mir vor, am nächsten Tag Hermann Lehner anzurufen und ihn zu fragen, was das neue Buchprojekt, das ich ihm vor einigen Wochen vorgeschlagen hatte, machte. Mir schwebte ein kleines Büchlein vor, in dem nur die wichtigsten „Sprüche“ und Aussagen aus seinen Büchern enthalten sind. Hauptsächlich war es ein eigennütziger Gedanke, denn ich wollte mich – oder meinen Kopf – in kurzen Sätzen an die Wahrheit des menschlichen Daseins erinnern ohne ewig lange Kapitel in Wahrheitsbüchern lesen zu müssen. Ich wollte ein Buch herausbringen, das lediglich die Essenzen der Wahrheit enthielt. Ich wollte mit diesem Buch in kurzen, knappen Sätzen meinen Verstand um den Verstand bringen, um mich in kürzester Zeit an die Wahrheit des Daseins zu erinnern, wenn die nervenden Gedanken wieder einmal etwas ganz anderes wollten als das, was in diesem Moment da ist.

Am nächsten Morgen sah ich dabei zu, wie in mir und durch mich die mir bekannte Welt erschien. Ich hörte die Samtpfoten meiner Katze um das Bett schleichen, draußen fegte ein fleißiger Mitbürger den Bürgersteig. Irgendwo bellte ein Hund. Dann ein sanftes ‚Aha’ und ich wurde mir des Körpers gewahr. Die Blase war voll und wollte geleert werden. Ich gähnte und streckte mich, öffnete die Augen. Ein Sonnenstrahl bahnte sich durch die Rollos den Weg ins Zimmer. Ein erster Gedanke an die Aufgaben des heutigen Tages erschien: „Ruf’ nachher den Lehner an.“

Ich duschte, versorgte meine Katze mit Frühstück und machte dann auch mir eine Scheibe Brot und einen köstlich dampfenden Schoko-Cappuccino. Während ich diesen noch genoss, ließ ich meinen Computer hochfahren und öffnete wie allmorgendlich zuerst mein Emailprogramm.

Ein Email von Hermann Lehner mit der Betreffzeile „Lehners dumme Sprüche“ blinkte mir entgegen: „Guten Morgen, Frau Herausgeberin! An den Sprüchen wird grad noch gearbeitet! Ansonsten fehlt jetzt nur noch Ihr sehr verehrtes zünftiges Vorwort! :-)) Grüße, der Dr.“ Im Anhang fand ich die Datei für ein kleines Büchlein, in das „ich“ mich sogleich vertiefte. Das, was ich hier las, war das, was ich gestern erfahren und erlebt hatte und in diesem Moment – im ewigen Jetzt – wieder erinnerte. Es erschien ganz einfach in „meiner Welt“, es zeigte sich auf der Bühne „meines“ Lebens – und „ich“ als der Träumer dieser Welt hatte es mir „erträumt“.

Wir brachten damals das Buch „Quintessenzen“ gemeinsam heraus und es war viele Jahre auf dem Buchmarkt erhältlich. Die Welt ging inzwischen weiter, ich habe meinen Verlag abgegeben und mich beruflich neu orientiert. Aber die Vorliebe für die Advaita, die Nondualität, ist geblieben. Kein Glauben nötig, keine Vorstellungen wie etwas zu sein hat oder sein sollte. Der Versuch, den eigenen Verstand daran zu gewöhnen, dass wir größer sind als er.

Heute veröffentliche ich hier meine Lieblingszitate, kleine Perlen der Advaita-Weisheit, die mir immer wieder helfen, mich zu erinnern, wenn ich mit mir oder der Welt hadere. Hier steht etwas über Sie, über mich, über uns alle, über unser wahres Dasein – hier finden Sie die Wahrheit über das, was wirklich ist. Lesen Sie, erfahren Sie, sein Sie.

Alles Liebe,
Gudrun Anders

Dieser Text ist das Vorwort aus meinem kleinen Büchlein "Kleine Perlen der Advaita". Hier können Sie einen Blick hinein werfen: